Die Stakeholder im SEO-Projekt
SEO bedeutet für Unternehmen heute viel mehr als die eigentliche Optimierungsarbeit. Natürlich geht es letztendlich um Onpage-Optimierung, um technisches SEO und manchmal auch um Linkaufbau, aber der Suchmaschinenoptimierer steht dort häufig vor der Aufgabe, alle Beteiligten von den notwendigen Maßnahmen zu überzeugen. Diese Überzeugungsarbeit ist oft genug der entscheidende Erfolgsfaktor – und eine Aufgabe, die viele SEOs nur wenig am Schirm haben.
In der Praxis heißt das oft, dass quasi durch die Hintertür ein neues (Teil-)Projekt eingeführt wird. Damit ein Projekt aber erfolgreich durchgeführt werden kann, sollten ein paar Mindestvoraussetzungen gegeben sein: Die Beteiligten müssen von der Sinnhaftigkeit der Maßnahmen überzeugt sein und es muss einen Projektleiter geben, der mit der nötigen Autorität ausgestattet ist, das Projekt durchzuziehen. Beide Kriterien sind in einem SEO-typischen Ad-Hoc-Projekt häufig nicht gegeben.
Welche Stakeholder gibt es denn nun in einem typischen SEO-Kundenprojekt? Ich zähle hier mal die üblichen Rollen auf, die natürlich nicht bei jedem Projekt in voller Ausprägung vorhanden sind, aber die doch einen guten Durchschnitt meiner bisherigen Beratungsprojekte zeigen:
Projektleitung
SEO findet gewöhnlich im Rahmen eines übergeordneten Projekts statt. Entweder wird eine neue Website eben erst entwickelt, so gibt es dafür ein meist ganz klassisch definiertes Projekt und die Suchmaschinenoptimierung ist ein Unterprojekt dabei. Besteht die Website bereits seit längerem, so ist der Projektleiter der zuständige Produktmanager. Egal wie die Situation im Einzelfall genau aussieht, für das „Teilprojekt SEO“ gibt es nur selten einen hochoffiziell benannten Projektverantwortlichen. Wer diese Rolle dann mehr oder weniger spontan übernimmt, hängt nicht nur von der Unternehmensstruktur ab, sondern durchaus auch von den beteiligten Charakteren und den oftmals eher zufälligen Arbeitsabläufen.
Geschäftsleitung
Der Auftraggeber hat meist keine Ahnung von technischen Zusammenhängen und ebenso wenig von Suchmaschinenoptimierung. Er hat mal gehört, dass PageRank wichtig und Platz 1 gut ist, danach wird’s mit seinem SEO-Wissen schon mau. Kein Wunder, das ist ja auch nicht seine Aufgabe. Vielmehr muss die Geschäftsleitung darauf achten, dass der Laden läuft; dazu kann es notwendig sein, im SEO-Projekt viele Kompromisse einzugehen. Denn kein Chef kann es sich leisten, Vertrieb, Redaktion oder die IT-Abteilung zu verärgern. Wenn eine wichtige Abteilung nur noch Dienst nach Vorschrift macht, weil dort alle vom chaotischen SEO-Berater genervt sind, sieht’s für das gesamte Projekt schlecht aus.
Assistenz der Geschäftsleitung
Häufig ist der Assistent der Geschäftsleitung das Mädchen für alles. Offiziell ist er womöglich für nichts zuständig, in Wahrheit aber leitet er das gesamte Projekt – auch wenn niemand, vielleicht nicht einmal er selbst, das so formulieren würde. Entsprechend groß ist sein Einfluss auf den Erfolg der Maßnahmen. Ganz ähnlich liegt der Fall bei Sachbearbeitern, die – natürlich nur rein technisch – für die Verwaltung der Finanzen zuständig sind. Eigentlich ist ihre Aufgabe nur, den Finanzplan stets aktuell zu halten. Dadurch sind sie aber nach kurzer Zeit die einzigen, die den genauen Zustand der Finanzen kennen. Ist also im Budget kein Geld für die eben gefundene Linkbuilding-Idee eingeplant, ein nettes Gespräch mit diesen heimlichen Herrschern kann helfen, die nötigen Mittel loszueisen.
Online-Marketing-Abteilung
Die (Online-)Marketer kennen neben PageRank und Platz 1 auch noch die Vokabel Link Popularity. Da sie aber neben einer guten Google-Platzierung auch noch für Kooperationen mit anderen Websites zuständig sind, wird im SEO-Projekt das leidige Duplicate-Content-Problem schnell zum permanenten Streitpunkt. Ziemlich überraschend ist, dass die Online-Marketer selten die Federführung fürs SEO-Projekt innehaben, wo SEO doch eigentlich ihr Aufgabengebiet beträfe. Da aber Suchmaschinenoptimierung viel zu sehr eine Querschnittsaufgabe ist, muss der SEO ständig mit Technikern und Redaktion reden und der Online-Marketer kümmert sich wieder um seine Kooperationen.
IT-Abteilung
Die Zeiten, in denen der „typische Techie“ SEO hasste, weil die bösen SEOs das gute Google manipulieren, sind inzwischen lange vorbei. Trotzdem empfehle ich jedem SEO-Consultant dringend, sich mit der IT-Abteilung gut zu stellen. Hat man selbst profundes technisches Wissen, hilft das ungemein. Als Optimierer darf man nie vergessen, dass die Techniker am längsten aller Hebel sitzen. Ein Satz wie „Diese Maßnahme würde unser Sicherheitskonzept aushebeln!“ lässt jeden Geschäftsführer erschaudern und ist das sichere Ende der angedachten Vorgehensweise. Umgekehrt lässt sich bei einem informellen Kaffeegespräch oft genug ein Weg finden, der im offiziellen Meeting niemals gefunden würde.
Redaktion
Redakteure erschaffen Content und das Web wäre ohne Content ein ziemlich öder Ort. Jetzt ist zwar Content die Basis jeder Optimierung, aber ein nicht-optimierter Content ist leider nur halb so viel wert. Deswegen liegt in der Hand der Redaktion ein großer Hebel für die Sichtbarkeit einer Website. Schafft es ein SEO, die Redakteure zu überzeugen, suchmaschinentauglich zu schreiben, ist oft schon viel gewonnen. Außerdem ist es für die Stimmung im gesamten Team hilfreich, sich gut mit den Redakteuren zu stellen.
Inhouse-SEOs
Die Position des Inhouse-SEOs kann sehr vielfältig sein. Ich habe Inhouse-SEOs erlebt, die der heimliche Star im Unternehmen sind und aufgrund des Erfolgs ihrer Maßnahmen schalten und walten können, wie sie möchten. Andere hingegen sitzen zwischen allen Stühlen und mühen sich vergeblich ab, da ihnen als geborene Einzelkämpfer die Rituale und informellen Entscheidungswege fremd geblieben sind. Da wird etwa ein für die Optimierung wichtiger Vorschlag am Ende eines mehrstündigen Meetings in den Raum geworfen. Niemand versteht, was dieser ominöse Googletrickser meint, alle möchten zum Mittagessen – und der Inhouse-SEO ist verärgert, weil niemand seine tolle Idee würdigt.
Designer und/oder Usability-Experten
Waren früher Grabenkämpfe zwischen SEO („H1-Überschriften sind sooo wichtig!“) und Designer („Igitt, H1 ist sooo hässlich!“) an der Tagesordnung, so finden diese Auseinandersetzungen heute kaum mehr statt. Das liegt am technischen Fortschritt („Mit CSS wird auch H1 sooo schön.“) und daran, dass Design nicht mehr annähernd so im Fokus steht wie zur Anfangszeit des Webs. Ist im Webprojekt ein Usability-Experte eingebunden, so kann dieser sogar zum Verbündeten des Optimierers werden. Denn eine saubere Struktur und eine übersichtliche Navigation liegen beiden am Herzen.
Externe Technik-Dienstleister
Ist an einem Projekt eine externe Agentur beteiligt, die grundlegende Technik – etwa das CMS – liefert, kann das den Optimierungsprozess enorm erschweren. Jeder Änderungswunsch an der gelieferten Technik bedeutet Mehraufwand für den Lieferanten, der entweder dessen Gewinnspanne schmälert oder eine nervige Diskussion mit der Geschäftsleitung über zusätzliche Zahlungen auslöst. Zusätzlich erwecken Änderungswünsche an der Technik den Eindruck, dass der Techniklieferant nicht gut genug gearbeitet hätte – somit ist die natürliche Reaktion auf so manchen Wunsch erstmal Ablehnung. Deswegen ist es auch hier sinnvoll, sich auf dem kleinen Dienstweg mit den externen Mitarbeitern gut zu stellen.
Sonstige externe Berater
Hat das Projekt eine gewisse Größenordnung, so ist es ganz normal, dass weitere externe Berater mit dabei sind; etwa als externe Projektmanager oder für (klassische) Marketingmaßnahmen. Natürlich ist in so einem Fall der Marketingberater ein wichtiger Kooperationspartner für den Suchmaschinenoptimierer. Schließlich können seine Ideen oftmals wunderbar für den Linkaufbau genutzt werden.
SEO-Consultant oder SEO-Agentur
Der SEO-Consultant stößt als externer Berater meist zu einem laufenden Projekt hinzu. Er muss sich dort schnell und selbständig einarbeiten, die anderen Spezialisten kennenlernen und einen persönlichen Draht zu ihnen finden. Und er muss herausfinden, wer die eigentlich Mächtigen im Projekt sind, um dort seine Anliegen geschickt vorzubringen. Manchmal ist es unabdingbar, mit der Geschäfts- oder Gesamtprojektleitung in informellem Rahmen unter vier Augen zu reden. Dazu bietet es sich an, die tatsächlichen Anwesenheitszeiten des Gesprächspartners herauszufinden. Häufig hetzt er den ganzen Tag von Termin zu Termin, sitzt aber abends nach 19 Uhr alleine im ansonsten verwaisten Büro. Arbeitet man nun „zufällig“ ähnlich lange, lassen sich auf dem Weg zum Parkplatz Dinge klären, die ansonsten nicht möglich wären.
Fazit
Möchte man als SEO-Berater seine Optimierungsmaßnahmen erfolgreich umsetzen, ist es unabdingbar, sich die Interessen und Motive aller Beteiligten vor Augen zu führen. Sogar der destruktivste Stakeholder ist nicht aus Bosheit so destruktiv; vielmehr liegt es an seinem anderen Blickwinkel. Er fürchtet sich womöglich vor mehr Arbeit oder vor Kompetenzverlusten. Diesen anderen Blickwinkel einzunehmen hilft, seine Rolle zu verstehen und so eine Lösung finden zu können.
Suchmaschinenoptimierung ist eine Querschnittsaufgabe. Entsprechend ist es Aufgabe des verantwortlichen SEOs, alle Beteiligten zusammenzuführen und – in Ermangelung eines offiziellen Projektleiters – die nötigen Maßnahmen durchzusetzen.
Erschienen am 12. Januar 2010 – zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2024