Das Google Betriebssystem kommt: Willkommen Chrome OS!

Google hat gestern angekündigt, mit Chrome OS ein eigenes Betriebssystem zu entwickeln. Wie es in Googles Firmenblog heißt, soll der Code noch in diesem Jahr als Open Source freigegeben werden, eine für Endnutzer sinnvolle Version ist für 2010 angekündigt, die zunächst auf Netbooks zugeschnitten sein soll. Ob Chrome OS tatsächlich ein „neues“ Betriebssystem sein wird, ist eine Definitionsfrage: Denn Basis von Chrome OS ist ein Linuxkernel, auf dem ein neues Fenstersystem laufen wird.

Spannender als die technischen Detailfragen aber finde ich die grundsätzliche Richtung, die ein Google-Betriebssystem aufzeigt. Wir Internetspezialisten (Webworker, Digital Natives) haben uns die letzten Jahre an die „Cloud“ gewöhnt. Manche sind mit Vorsatz und Begeisterung in die Wolke aus Webservices gestürmt, die meisten hielten’s wohl eher mit dem „Fischer“ – dem von Goethe, nicht dem Websitebooster:

Halb zog sie ihn, halb sank er hin

Mein Weg in die Cloud war jedenfalls genau so: Wenig enthusiastisch, aber doch immer mehr verstrickt in die verschiedenen Dienst. GMail wollte ich ganz bestimmt nicht nutzen, da konnte mir Wolfgang Sommergut auf der SES 2005 noch so viel vorschwärmen davon – im Juli des selben Jahres bin ich umgestiegen auf den Google E-Mail-Service. Ob meine Mails bei fastmail.fm oder bei Google liegen, Mails sind quasi grundsätzlich in der Cloud, sagte ich mir damals. Inzwischen lese ich die Blogs über Bloglines, Backups sichere ich auf Amazon S3 und mein Programmcode liegt bei Versionshelf. Und wenn ich in ein Beratungsprojekt gehe, dient mir der Google Calendar als Outlook-Ersatz.

So wenig bislang bekannt ist über Chrome OS, klar ist, dass es den Weg in die Cloud weisen dürfte:

Most of the user experience takes place on the web

Somit steht Chrome OS also für ein Computermodell, das in den frühen 80er Jahren eigentlich verschwunden war. Damals hat der Siegeszug der Apple-PCs IBM dazu genötigt, selbst PCs zu bauen. (Apples Reaktion damals lautete: „Willkommen IBM. Ehrlich.“) Die Folge war das Verschwinden der Mainframes aus den Büros und die Nutzer waren Herr über ihre Daten und Anwendungen. Lediglich während des ersten Internetbooms in den späten neunziger Jahren gab es einen halbwegs ernsthaften Versuch von SUN (die mit dem Punkt in .com) das Desktop-zentrierte Computermodell abzulösen: die JavaStation konnte sich aber nicht durchsetzen.

Nun ist in den letzten zehn Jahren die Geschwindigkeit des typischen Internetzugangs erheblich angewachsen. Diese Zunahme hat erst dazu geführt, dass die Cloud heute sinnvoll zu nutzen ist. (Um mal technische Neuerungen wie den XmlHttpRequest vulgo AJAX außen vor zu lassen.) Und natürlich ist es angenehm, wenn die jeweils neuesten GMail-Funktionen ohne mein zutun sofort bereit stehen. Zudem ist es wahnsinnig bequem, auf jedem Gerät (Desktop, iPhone, Handy) eine an dieses Gerät angepasste Version von GMail vorzufinden.

Doch stellt sich die Frage, welche Nebenwirkungen wir uns damit einhandeln. Der Desktop-PC ist – zumindest für uns Digital Natives zum Mittelpunkt unseres Lebens geworden. Wir erledigen Bankgeschäfte am PC, wir buchen Hotels, wir speichern unsere Fotos auf dem Rechner und wenn die Werbung stimmt, hat jeder sechste von uns seinen Partner online gefunden.

In seinem wegweisenden Urteil zur Online-Durchsuchung hat das Bundesverfassungsgericht das ganze etwas sperriger – sind halt Juristen – so beschrieben:

In der Folge können sich im Arbeitsspeicher und auf den Speichermedien solcher Systeme eine Vielzahl von Daten mit Bezug zu den persönlichen Verhältnissen, den sozialen Kontakten und den ausgeübten Tätigkeiten des Nutzers finden. Werden diese Daten von Dritten erhoben und ausgewertet, so kann dies weitreichende Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers bis hin zu einer Profilbildung ermöglichen.

Höchst interessant ist auch, dass das Verfassungsgericht in diesem Urteil zwischen der „bloßen Überwachung der laufenden Telekommunikation“ (ist okay) und dem (im Zweifel bösen) Ausspähen des Computers unterscheidet. Ist unser Computer aber lediglich ein Zugriffsgerät für die Cloud, hilft uns das vom Verfassungsgericht aufgestellte „Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme“ nicht viel weiter.

Ich bin also höchst skeptisch was Chrome OS anbetrifft. Ich wäre das bei jedem Anbieter, erst recht aber bei Google, dessen wahres Motto schon längst nicht mehr „Don’t be evil“ lautet, sondern – frei nach Captain Jack Sparrow:

Nimm was du kriegen kannst und gib nichts wieder zurück.