Gedanken über SEO-Zertifikate im Allgemeinen und das des BVDW im Besonderen

Regelmäßig wird das BVDW-SEO-Zertifikat in der SEO-Szene kritisiert. Aktuell ist es ein Beitrag von Seonaut Marco. Ich kann grundsätzlich die Kritik an der Ausgestaltung des BVDW-SEO-Zertifikats teilen, allerdings möchte ich auf ein paar Sachen hinweisen, die oft unter den Tisch fallen und die vielleicht das Urteil über dieses Zertifikat etwas relativieren.

Wie auch Marco schreibt, besteht ein intensiver Bedarf für ein derartiges Zertifikat. Deshalb hatte die „Arbeitsgruppe Suchmaschinen“ im BVDW schon recht früh (ich glaub so 2003 rum) ein solches Zertifikat „versucht“ – das ist der geeignetste Ausdruck, denn mehr als ein Versuch war’s nicht. Da war von Metatags die Rede und von vielen anderen technischen Dingen, die wenig mit der tatsächlichen Arbeit zu tun hatten; dies hatte zur Folge, dass selbst der schlimmste Black-Hat-SEO das Zertifikat hätte erhalten können. Kurz darauf hat sich diese Arbeitsgruppe dann auch selbst in einer denkwürdigen Sitzung aufgelöst. Einige Zeit später wurde dann eine neue Arbeitsgruppe, nicht zuletzt auf Betreiben von Christian Vollmert und mir, neu angestoßen, dieses Mal mit dem Fokus auf (SEM/SEO-)Agenturen. Denn die alte Gruppe ist auch an ihrer vielfältigen Zusammensetzung gescheitert.

Aus dem ersten, gescheiterten Versuch hat man nun gelernt und ein SEO-Zertifikat erarbeitet, das eine bessere Hilfestellung für Kunden sein sollte. So wurden die fachlichen Kriterien allgemein genug gehalten, um sich nicht in endlosen Detailfragen zu verstricken. Und die Kriterien sind vielfach negativ formuliert, d.h. die offensichtlich „bösen“ Maßnahmen wie Cloaking oder zwangweise(!) Verlinkung der Kundenwebsites untereinander sind als „Du darfst nicht“ beschrieben.

Da nun aber der fachliche Teil wegen der beschriebenen notwendigen Verallgemeinerung weniger Aussagekraft hat, wurden weitere Kriterien eingeführt, die ein seriöses Auftreten am Markt sicherstellen sollen. Und an dieser Stelle setzt denn auch meine Kritik am Zertifikat ein – und das war auch einer der Gründe, warum ich mich aus der BVDW-Arbeit zurückgezogen habe. Denn die nicht-fachlichen Kriterien sind deutlich von einer reinen Agenturdenke geprägt. Ein SEO-Consultant wird häufig schon an den beiden Kriterien Handelsregistereintrag und 250.000 Euro Honorarvolumen scheitern. Damit könnte er theoretisch das Zertifikat immer noch erhalten, denn die Kritierien müssen nur zu 80 Prozent erfüllt werden, aber dann muss er in allen anderen Fragen volle Punktzahl erreichen. Aber auch für Agenturen sind die nicht-fachlichen Kriterien nicht unproblematisch. Immerhin müssen sie ihren Konkurrenten im Zertifizierungsgremium Honorarvolumen und fünf Kundenstimmen vorlegen. Ich kenne mehrere Agenturen, die aus genau diesem Grund das BVDW-SEO-Zertifikat nicht beantragen.

Dabei halte ich es durchaus für wichtig, Punkte wie Kundenzufriedenheit und Erfahrung mit Kundenprojekten als Kriterien für ein Zertifikat heranzuziehen. Denn der fachlich beste SEO bringt einem Kunden überhaut nichts, wenn es an kommunikativen Fähigkeiten mangelt und der SEO es deshalb nicht schafft, die notwendigen Maßnahmen durchzusetzen. SEO für Unternehmen besteht höchstens zu 30 Prozent aus „echter Suchmaschinenoptimierung“, der Rest ist Kommunikation und Management – und das eigentliche Erfolgskriterium für einen SEO-Consultant, egal ob als Freelancer oder innerhalb einer SEO-Agentur.

Bei aller berechtigter Kritik am BVDW, eines ist auch klar: Es hat noch niemand etwas besseres vorgelegt! Und das hat auch seinen Grund. Denn es ist alles andere als einfach, ein SEO-Zertifikat zu entwickeln, das der komplexen Marktsituation gerecht wird. Die Anbieterseite reicht von pickelgesichtigen Jünglingen bis zu großen Agenturen, die Teil eines weltweiten Konzerns sind. Auf Seiten der Kunden ist das Spektrum noch größer. SEO möchte heute der Laden um die Ecke für 300 Euro im Monat ebenso wie der große Konzern, der ohne mit der Wimper zu zucken monatlich ein fünfstelliges Budget allein für Linkkauf zur Verfügung stellt. Entsprechend vielfältig sind denn auch die Geschäftsmodelle in der Branche.

Allein schon wegen dieser Komplexität halte ich die auch von Marco wieder aufgegriffene Idee eines TÜV-Siegels für abwegig. Sicherlich sollte der Aussteller eines Zertifikats unabhängig sein, er muss aber vor allem Ahnung von der Branche und den Abläufen haben. Der TÜV würde dazu entweder einzelne Experten (oder solche, die der TÜV dafür hält) hinzuziehen oder gleich mit dem BVDW kooperieren. Gewonnen wäre damit nichts!

Wir brauchen vielmehr ein Zertifikat, das fachlich fundiert genug ist, um die Call-Center-Pseudo-SEO-Agenturen abhalten zu können und trotzdem seriöse Optimierer nicht wegen womöglich diskussionswürdiger Einzelmaßnahmen ausschließt; das die nötigen nicht-fachlichen Anforderungen enthält, ohne Freelancern und kleinen Agenturen den Zugang zu verweigern. Und wir benötigen eine Strategie, wie ein solches Zertifikat auch die nötige Bekanntheit und Anerkennung erhält.

Ich habe einige Ideen und Vorstellungen, in welche Richtung das gehen könnte, aber dazu würde ich gerne auf Marcos Vorschlag zurückgreifen und das Thema auf der SeoCampixx ausführlich und mit einiger Vorbereitung diskutieren. Vielleicht erhalten wir so im kommenden Jahr ein Zertifikat, das der Markt dringend brauchen würde.