Was würde Google tun?

Als wir an unserer Suchmaschine Neomo gearbeitet haben, stellten wir uns bei der Diskussion um mögliche Features regelmäßig die Frage: Wie würde Google das wohl machen? Das fanden wir nahe liegend und sinnvoll, schließlich ist Google, allen Zusatzaktivitäten zum Trotz, in erster Linie eine Suchmaschine. Genau so schaut auch Daimler auf das, was BMW macht und Audi achtet auf Porsche. Soweit also nicht der Rede wert und erst recht kein Thema für ein Buch.

Doch Amerikaner ticken wohl anders. Google hat riesigen, ja fast schon revolutionären Erfolg, also muss das, was Google macht, auch revolutionär sein. Und kurzerhand wird der Erfolg Googles in seiner kleinen Marktnische als Vorbild für die gesamte Wirtschaft gesehen. Jedenfalls betrachtet der US-Blogger und Ex-Journalist Jeff Jarvis in seinem Buch What would Google do?(hier zu einer Zusammenfassung) die gesamte Wirtschaftstätigkeit unter diesem Blickwinkel – und die businessaffinen Blogs stürzen sich voller Begeisterung darauf.

Dabei lehrt doch die Geschichte, dass der Erfolg in einer Ecke unserer Welt nicht heißt, dass ein Verhalten überall erfolgreich sein muss. Die Oktoberrevolution von 1917 hatte „revolutionären Erfolg“, war aber nicht unbedingt ein Vorbild für andere Gesellschaften. Auch der EM-Titel 2004 für Rehagels Griechenland hat nicht zur Wiedereinführung des Liberos in den modernen Fußball geführt. Und eine der ersten echten Erfolgsstorys im Web, der Verkauf des Online-Shop-Betreibers Viaweb an Yahoo im Jahre 1998, führt der Gründer Paul Graham auf seine Geheimwaffe Lisp zurück, mit der die über tausend Online-Shops erstellt wurden. Hätte Jarvis damals ein Buch geschrieben „What would Viaweb do?“, würden wir dann alle mit Lisp statt PHP arbeiten?

Dass die Voraussetzung für seine Grundannahme, dass Google so vieles richtig macht, wo die gesamte „andere Wirtschaft“ falsch liegt, auf schwachen Füßen steht, sieht Jarvis denn durchaus selbst. Denn die zweite große IT-Erfolgsstory neben Google ist Apple. Und Apple hat mit Google zwar die Dominanz der Farbe Weiß gemein, damit enden aber die Übereinstimmungen bereits. Die Offenheit, die Jarvis immer wieder als so wichtig für Google preist? Bei Apple Fehlanzeige. Transparenz und Zusammenarbeit? Dort wo Apple die Möglichkeiten hat, Standards zu setzen: Niemals! Jarvis sieht diesen Widerspruch sehr wohl und stellt denn auch gegen Ende des Buches die Frage, ob nun Apple die Ausnahme sei oder doch Google … Würde er diese Frage an den Anfang stellen, gäb’s wohl sein ganzes Buch nicht.

Dabei ist der Ansatz von „What would Google do?“ sicherlich nicht uninteressant und viele Thesen erscheinen durchaus sinnvoll. Nur haben sie weniger mit Google zu tun als mit den Mechanismen des Webs. Die aktuellen Fälle der zurückgezogenen Abmahnungen von Bahn und C&A zeigen die Macht des Webs, nicht die Macht Googles. Google hat auch die Blogrevolution, die im aktuellen Erfolg von Twitter gipfelt und die geringe Macht einzelner zu einer großen Macht vieler bündeln kann, weder ausgelöst noch unterstützt.

Letztendlich verhält sich Google nicht viel anders als jedes andere Unternehmen auch. Jarvis‘ schönste These lautet:

Do what you do best and link to the rest.

Doch Google arbeitet nicht wirklich danach. GMail, Picasa, Orkut gehören allesamt nicht zum Kernbereich Googles; doch Google verweist nicht auf Alternativangebote, sondern kauft sie auf oder programmiert eigene Lösungen. Das ist aus Googles Sicht sicherlich sinnvoll und erst recht legitim, widerspricht aber der Grundthese, dass Google irgendetwas anders machen würde als der Rest.

Apple hat den Musikmarkt revolutioniert, Amazon den Einzelhandel, Google die Websuche. Welches dieser Unternehmen taugt nun als Vorbild? Alle und keines. Jedes Unternehmen muss den Weg finden, der aus seiner Sicht der beste ist. Am schönsten hat das der weise Fußballlehrer Otto Rehagel zusammengefasst: Modern ist, wer gewinnt.